
Simon Hofmann entwickelte 2018 die JavaScript-Bibliothek NutJS für Desktop-Automatisierung. Nach Jahren der unentgeltlichen Open-Source-Arbeit entschied er sich 2022, ein Lizenzmodell einzuführen. Heute generiert er mit ca. 30 zahlenden Kunden Umsatz und betreibt das Projekt über seine Firma "Dry Software UG", während er in Teilzeit angestellt bleibt.
Von der Entwicklung zum Geschäftsmodell
"Ich habe mir gedacht, naja, es gibt viele Open Source Tools. Irgendwie ist alles nicht so das, was ich mir vorstelle. Jetzt mach ich halt mein eigenes Ding", erklärt Simon die Entstehung von NutJS. Das Framework ermöglicht die Automatisierung von Maus- und Tastatureingaben über JavaScript/Node.js und wird hauptsächlich für Testautomatisierung, Monitoring und Workflow-Automatisierung genutzt.
Der Wendepunkt kam 2022, als Apple-Silicon-Support angefragt wurde. Simon entschied: "Dieses Plugin stelle ich nur Leuten bereit, die ein GitHub-Sponsorship abschließen." Dies war der Startschuss für ein Geschäftsmodell. Heute bietet er verschiedene Abonnements an: Ein Solo-Plan für $7/Monat, Team-Pläne mit mehreren Lizenzen und Enterprise-Lösungen. Die Preisgestaltung basiert auf dem Zugang zu erweiterten Plugins wie OCR-Integration oder Accessibility-basierte Element-Selektoren.
Der größte Teil seiner Kunden nutzt Teamlizenzen mit 3-5 Plätzen, die über ein zentrales Lizenzmanagement-Dashboard verwaltet werden können. Technisch setzt Simon auf eine eigene NPM-Registry mit Verdaccio und einem selbstentwickelten Lizenz-Plugin.
Technologie und Marketing
Das Projekt besteht aus einer Open-Source-Kernkomponente und proprietären Plugins. Simon verwendet für die Entwicklung die JetBrains-Produktsuite und hat kürzlich mit Winsurf (einer VSCode-basierten KI-IDE) experimentiert. Für seine Gedankenprozesse nutzt er zusätzlich Claude von Anthropic.
"Es war das erste Mal, dass jemand wirklich Geld dafür bezahlt hat für etwas, das ich von der Pique auf entwickelt habe. Das ist einfach ein richtig cooles Gefühl."
Das Marketing gestaltet sich herausfordernd. Simon nutzt bisher hauptsächlich:
- Reddit-Posts in relevanten Entwickler-Communities
- LinkedIn-Gruppen zu RPA und Test-Automation
- Hilfsbeiträge in GitHub-Issues ähnlicher Projekte
- Discord-Community (260 Mitglieder, davon etwa 50 aktiv)
- Konferenzauftritte (z.B. EnterJS 2019)
Er erkennt, dass Video-Content auf YouTube effektiver sein könnte: "Über mein Analytics-Tool sehe ich, dass die Leute, die über YouTube kommen, tendenziell sehr viel länger auf der Seite sind und sich wirklich ausgiebig mit dem ganzen Ding beschäftigen."
Herausforderungen beim Bootstrapping
Die größte Herausforderung war die Reaktion der Open-Source-Community auf die Einführung des Bezahlmodells. Simon erhielt harsche Kritik: "Du bist doch irgendwie nur auf Kohle aus und du trittst den Open-Source-Gedanken mit Füßen".
"GitHub-Stars sind das Klatschen vom Balkon für die Krankenhausmitarbeiter während Corona. Das klingt jetzt wahrscheinlich wieder sehr verbittert, aber es ist im Prinzip schon eine sehr große Ähnlichkeit."
Nach einem besonders verletzenden GitHub-Issue entschied er, seine Prioritäten zu ändern: "Ich mache lieber ordentliche Arbeit für Leute, die das dann wertschätzen, anstatt dass ich Millionen von Downloads habe, aber am Ende mir anhören muss, dass ich ein schlechter Mensch bin."
Simon balanciert das Projekt mit seiner 60%-Anstellung und familiären Verpflichtungen. Die UG wurde 2023 gegründet, als ein größerer Kunde anfragte und er die private Haftung ausschließen wollte.
Die wichtigsten Learnings aus Simons Bootstrapping-Journey:
- Wertschätzung ist wichtiger als hohe Nutzerzahlen
- Ein Kernprodukt kann man besser monetarisieren als verteilte Beiträge
- Eigene Infrastruktur (NPM-Registry, Lizenzmanagement) schafft Unabhängigkeit
- Priorisierung auf zahlende Enterprise-Kunden statt Community-Pflege
- Ausgeglichene Work-Life-Balance durch Teilzeitmodell und Hobbys (Holzarbeiten)
Trotz der Herausforderungen bereut Simon nichts: "Während dieser sechs Jahre habe ich dermaßen viel für mich selbst rausgezogen und gelernt", und er engagiert sich weiterhin für Open Source, indem er jährlich 2300 Dollar an andere Maintainer spendet.
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