Nach der Covid-Pandemie, dem Umzug in die Vorstadt und zwei Kindern bewegte sich Johannes Kettmann kaum noch – Rückenschmerzen waren die Folge.
Seine Lösung: Walking Pads. Doch nach drei defekten elektrischen Laufbändern in zwei Jahren und 1.000 Euro Verlust entwickelt der Physiker und Softwareentwickler jetzt sein eigenes mechanisches Walking Pad – den Office Walker. Seine Kickstarter-Kampagne ist bereits ein Erfolg: Über 400.000 Euro wurden bisher gesammelt.
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Die Gründungsgeschichte: Vom Frustkauf zur Mission
Johannes' Journey begann mit einem klassischen Problem: "Sitzen ist das neue Rauchen", sagt er und meint es ernst. Nach der Pandemie arbeitete er remote als Entwickler, trainierte nicht mehr regelmäßig und bekam zunehmend Rückenprobleme. Walking Pads schienen die perfekte Lösung – bis sie nach drei bis neun Monaten den Geist aufgaben.
"Diese elektrischen Laufbänder sind nicht für Dauerbetrieb gemacht. Nach drei Monaten war das erste kaputt", erklärt Johannes frustriert. Der Versuch, die Geräte zu reparieren, scheiterte meist an nicht verfügbaren Ersatzteilen. Die chinesischen Hersteller antworteten auf Anfragen oft gar nicht erst. Also kaufte er ein neues – und wieder ein neues.
Irgendwann kam die Erleuchtung: "Warum nicht einfach selbst eins bauen?" Als Physiker mit technischem Verständnis und Softwareentwickler mit unternehmerischem Mindset schien das machbar. Heute, anderthalb Jahre später, hat sich der Mut ausgezahlt: Seine Kickstarter-Kampagne hat bereits über 400.000 Euro eingesammelt – bei über 30.000 Euro Eigeninvestment eine beeindruckende Bestätigung.

Das Produkt: Mechanisch statt elektrisch
Der Office Walker unterscheidet sich fundamental von elektrischen Walking Pads: Er hat keinen Motor. Stattdessen nutzt Johannes ein mechanisches System mit Kurvenscheibe, das die Bewegung der Füße in die Rotation der Lauffläche übersetzt. "Am Anfang dachte ich, es wird einfach. Die Iterationszyklen bei Hardware sind brutal langsam", reflektiert er die Entwicklung.
Die technischen Herausforderungen waren enorm. Der erste beauftragte Ingenieur versprach sechs Wochen Entwicklungszeit, brauchte dann sechs Monate und lieferte am Ende ein unbrauchbares Ergebnis. Johannes musste alles selbst in die Hand nehmen, Prototypen bauen, testen, verwerfen und neu anfangen.
Besonders komplex: die Akustik. Mechanische Systeme sind naturgemäß lauter als Elektromotoren. Johannes heuerte Akustik-Experten über Upwork an, testete verschiedene Materialien und Dämpfungssysteme. Das Ziel: Ein Walking Pad, das leise genug für Zoom-Calls ist.
Geschäftsmodell: Die Lücke im Markt – und wie sie funktioniert
Johannes positioniert den Office Walker bewusst im Mittelfeld: 899 Euro als Early-Bird-Preis auf Kickstarter, später 1.199 Euro im regulären Verkauf. Damit füllt er die Lücke zwischen den 250-Euro-Importen aus China, die nach wenigen Monaten kaputt gehen, und dem 2.700 Euro teuren Walkolution-Premium-Produkt.
Seine Kalkulation ging auf: Die Kickstarter-Kampagne hat bereits über 400.000 Euro eingesammelt – weit über seinem Minimalziel von 200 verkauften Einheiten. Die 7.000 Menschen auf seiner Warteliste, hauptsächlich über organisches SEO aufgebaut, haben sich ausgezahlt.
Das Problem bei Hardware bleibt: Nach Produktion, Versand und Steuern bleiben oft nur 20-30% Marge übrig. Von den 30.000 Euro, die er bereits investiert hat, ist bisher nichts zurückgeflossen. Seine Freelance-Arbeit finanzierte die gesamte Entwicklung – bis jetzt.
Marketing: Transparenz als Strategie
Johannes' Marketingstrategie ist unkonventionell: maximale Transparenz. Auf YouTube dokumentiert er jeden Prototypen, jedes Scheitern, jeden kleinen Fortschritt. In seiner Discord-Community diskutiert er offen mit Interessenten über Design-Entscheidungen. Diese "Build in Public"-Mentalität schafft Vertrauen und Bindung.
"Jede Woche bin ich kurz davor aufzugeben – aber ich bin jetzt zu tief investiert, um einfach aufzuhören."
Seine SEO-Strategie funktioniert: 7.000 Wartelisten-Einträge ohne bezahlte Werbung. Er schreibt ausführliche Blog-Artikel über Walking Pads, Ergonomie und Gesundheit im Home Office. Google rankt ihn für relevante Keywords wie "mechanisches Walking Pad" oder "Walking Pad Dauerbetrieb" weit oben.

Ein Guerilla-Marketing-Highlight: Er postete sich mit seinem Prototyp vor dem Zalando-Büro in Berlin. Der Post ging viral in der Tech-Community.
Technologie-Stack: Hardware trifft Software
Als Softwareentwickler musste Johannes umdenken. Statt Code zu schreiben, arbeitet er jetzt mit CAD-Software, bestellt Prototypen bei Herstellern in China, wartet Wochen auf Lieferungen und entdeckt dann Fehler, die weitere Wochen Verzögerung bedeuten.
"Bei Software kann ich eine Zeile Code ändern und sofort testen. Bei Hardware muss ich einen neuen Prototyp bestellen, warten, zusammenbauen und dann erst testen".
Hinzu kommt die Komplexität der Lieferketten: Verschiedene Komponenten von verschiedenen Zulieferern müssen perfekt zusammenpassen.

Die Software-Komponente ist minimal: Eine einfache App soll später optional Statistiken tracken. Das Kernprodukt funktioniert aber komplett ohne Elektronik oder Software – bewusst, um Komplexität und potenzielle Fehlerquellen zu reduzieren.
Herausforderungen: Patente und Zweifel
Die größte aktuelle Herausforderung: Walkolution, der Premium-Anbieter, droht möglicherweise bereits mit Patent-Ärger. Johannes muss beweisen, dass sein mechanisches System ausreichend anders ist. Er hat Patentanwälte konsultiert, recherchiert und seine Konstruktion angepasst.

"Es gibt auf YouTube Videos von mechanischen Laufbändern aus den 1920er Jahren. Das zeigt, dass das Konzept nicht neu ist", argumentiert Johannes. Trotzdem ist der Rechtsstreit ein Risiko, das ihn Geld und Nerven kostet.
Die emotionale Belastung ist enorm. Jede Woche steht er vor der Frage: Weitermachen oder aufgeben? Die bereits investierten 30.000 Euro und die 7.000 Menschen auf der Warteliste halten ihn bei der Stange. Aber die Zweifel bleiben.
Hardware-Entwicklung bedeutet auch physische Arbeit: Prototypen selbst zusammenbauen, testen, wieder auseinandernehmen. Als Softwareentwickler war er das nicht gewohnt. Dazu kommt die Unsicherheit: Funktioniert das Produkt wirklich langfristig? Werden Kunden es lieben oder hassen?
Was ich im Interview gelernt habe
Johannes' Offenheit über die Schattenseiten der Hardware-Entwicklung war erfrischend ehrlich. Seine größte Erkenntnis: Hardware ist 10x schwerer als Software – nicht nur technisch, sondern auch emotional und finanziell.
Total überraschend fand ich seinen SEO-Erfolg mit 7.000 Wartelisten-Einträgen ohne Budget. Das zeigt, dass Content-Marketing auch heute noch und sogar bei physischen Produkten funktioniert.
Seine Transparenz auf YouTube und Discord schafft eine Community, die ihn durchträgt, wenn die Zweifel überhandnehmen. Der Kickstarter-Erfolg mit über 400.000 Euro zeigt: Authentizität und "Build in Public" zahlen sich aus – auch bei Hardware.
Johannes' Learnings
- Hardware ≠ Software: Die Iterationszyklen sind brutal langsam, jeder Fehler kostet Wochen
- Transparenz bindet: Jeden Rückschlag öffentlich zu dokumentieren schafft Vertrauen und Community
- SEO funktioniert: Auch bei physischen Produkten kann Content-Marketing zum Haupttreiber werden – 7.000 Wartelisten-Einträge beweisen es
- Patent-Recherche ist Pflicht: Prior Art zu finden kann Millionen an Rechtskosten sparen
- Experten einkaufen: Akustik, Mechanik, Logistik – als Gründer kann man nicht alles selbst machen
- Durchhalten zahlt sich aus: Über 400.000 Euro auf Kickstarter zeigen, dass der lange Atem die richtige Entscheidung war
- Die Lücke im Markt: Zwischen Billig-China-Importen und überteuerten Premium-Produkten liegt enormes Potenzial
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